aktiv!magazin Herbst / Winter 2014 - page 52

ie nachfolgende Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Namen und Orte
wurden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte geändert. Die Geschichte liest sich wie
ein böses Märchen aus finsteren Nächten. Aber sie ist kein Märchen. Sie ist nicht
einmal ein Einzelfall. Dieter W. ist 53 Jahre alt und arbeitet als Bürokraft in
Regensburg. Dieter ist glücklich mit seinem Leben. Es ist für alles gesorgt – für einen
sicheren Arbeitsplatz und ein finanzielles Polster. Die Mutter hat ihm bereits ihr
Häuschen überschrieben. Eine Geste, die familiäre Folgen hat. Der Bruder, der sich
schon seit längerer Zeit von ihm undder gemeinsamen Mutter abgewendet hat, verweigert nun vollends
den Kontakt. Der Bruch ist endgültig. Weilihm in der Jugendaus seiner Sicht einiges verwehrt blieb, ist
Dieter der Auffassung, er habe nun ein Recht darauf, so manches nachzuholen. Dabei geht es ihm nicht
um emotionale Dinge wie Liebe. Für ihn zählt nur das Materielle. Ein schlechtes Gewissen, weil er die
Mutter dazu gedrängt hat, ihren Immobilienbesitz abzutreten? Fehlanzeige. Das ist doch für alle Seiten
die beste Lösung, schließlich muss sie sich nun um nichts mehr kümmern. Undein lebenslanges Wohnrecht
hat sie ja in ihren – wenn auch nicht mehr eigenen – vier Wänden doch auch...
Monate gehen ins Land. Die Gesundheit von Annegret W. hat sich mittlerweile - dem Alter geschuldet
-verschlechtert. Sie lebt allein. Der eine Sohn lehnt jegliche Beziehung ab. Der andere ist weit weg, in
Regensburg. Weil sie auf Hilfe angewiesen ist, hat Dieter einen ambulanten Pflegedienst mit ihrer
Versorgung beauftragt. Dass seine Mutter nun pflegebedürftig ist, ärgert Dieter sehr. Das könnte ins
Geldgehen, so seine Befürchtung. Aufder Suche nach Rat in Sachen „Pflegeleistung“ stößt er im Internet
auf einen Artikel. Darin ist von den kombinierten Katalogleistungen der ambulanten Altenpflege die
Rede. Die frohe Botschaft: wenn Dieters Mutter eine Pflegestufe zugesprochen bekommt, muss er nicht
alles selber zahlen. Nein, die Pflegekasse übernimmt einen großen Teil. Undes kommt noch besser. Wenn
er einen Pflegedienst mit Kombileistungen beauftragt, bleibt für ihn sogar noch Geldübrig. Pflegegeld
heißt das Zauberwort.
Gesagt getan. Dieter vereinbart mit einem ambulanten Pflegedienst vor Ort die Versorgung seiner
Mutter mit Pflegekombileistungen. Dieter ist schon sehr gespannt darauf, was der Pflegedienst
ausrechnen wird. Was wohl für ihn selber rausspringt? Schon drängen sich Visionen auf, was er sich
Schönes kaufen könnte. Der Pflegedienst kalkuliert bei Pflegestufe II einen Pflegegeldanteil von knapp
dreihundert Euro jeden Monat. Dieter ist begeistert und unterschreibt sofort den Pflegevertrag. Die
Pflegedienstleiterin weist Dieter daraufhin, dass das Pflegegeldals Ersatzgeldanzusehen ist. Also als eine
Art Aufwandsausgleich, der ihm durch die anteilige Pflege für seine Mutter zusteht. Im Klartext: Der
Sohn muss bei der Versorgung seiner Mutter ergänzendmitwirken. Ach, denkt sich Dieter, wollen wir
doch mal sehen, wie das läuft. Ich fahre doch nicht jeden Tag von Regensburg nach Freising um meine
Mutter zu versorgen. Das sollschon der Pflegedienst erledigen, die bekommen ja schließlich Geldvon der
Kasse dafür. Rührendkümmert sich Dieter - allerdings nur um die finanziellen Angelegenheiten seiner
Mama. Natürlich verwaltet er die Rente der alten Dame. Was sollte die denn auch mit dem vielen Geld
anfangen, wo sie doch eh nur den ganzen Tag zuhause hockt. UndweilMütter eben volles Vertrauen zu
ihren Söhnen haben,
unterzeichnet Annegret ihm der Einfachheit halber eine
Kontoverwaltungsvollmacht. Freier Zugang also zum Girokonto undzu den Sparbüchern. Dass Muttern
doch nicht ganz so naiv ist undgelegentlich nachfragt, nervt. Also lässt er kurzerhanddie gesamte Post
zu sich nachsenden.- Kontoauszüge, Rentenbescheide, Rechnungen – alles landet auf seinem Schreibtisch
in Regensburg.
Der Mutter geht es derweil gesundheitlich immer schlechter. Weil ihr Sohn aber mehr Augen für die
Kohle als für ihren Zustandhat, entgeht ihm das vollends. Stattdessen kostet er seinen Wohlstandaus.
Hat große Träume. Undweiler zu deren Realisierung Knete braucht, reift eine folgenschwere Idee. Er
setzt das ihm überschriebene Haus zum Verkaufins Internet. Wirdja wahrscheinlich eh baldleer stehen,
wenn die alte Dame das Zeitliche segnet. Bleibt nur noch, auf baldige Interessenten zu hoffen. Doch da
hält der Anrufbeantworter eine überraschende Nachricht bereit. Der Pflegedienst. Die Mutter ist ins
Krankenhaus eingeliefert worden. Zunächst ist Dieter sogar erleichtert. Ein paar Wochen in denen er für
die Seniorin keine Lebensmittel zahlen muss. Keine nervigen Einkäufe mehr. Knapp zwei Wochen
vergehen. Ein Brief. Was willdenn der Pflegedienst nun schon wieder? Eine Rechnung? Nein. Lediglich
die Mitteilung, dass Annegret wieder zuhause sei. Und dass ihr Allgemeinzustand sich drastisch
verschlechtert habe. Mindestens vier Einsätze am Tag seien aus pflegefachlicher Sicht notwendig, schreibt
der Pflegedienst. Dieter schluchzt. Hat Mitleidmit sich selbst. Das wirdbestimmt teuer. Undvon seinem
Pflegegeldbleibt dann bestimmt auch nichts mehr übrig. Doch baldhat er eine Lösung parat. Die vom
Pflegedienst können mich ja malkreuzweise, denkt er sich undruft Ingridaus der Nachbarschaft seiner
Mutter an. Die geht öfter malmit dem Hundvon Annegret Gassi. Undfrüher hat die doch sogar selber
in einem Pflegedienst gearbeitet, oder? Dieter weiß, dass Ingrid eine Schwäche für seine Mama nebst
Hund hat. Mit seinem Anliegen rennt er gleich zur netten Nachbarin. Sie sei doch eh jeden Tag bei
Annegret, um deren Versorgung sicherzustellen. Solange eben, bis der Pflegedienst den erhöhten
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